Wer mit seiner Gastronomie regionale Food-Netzwerke stärkt, stärkt auch die bäuerliche Landwirtschaft. Ein Kommentar von Jan-Peter Wulf
Wenn ein Traktor im Sommerlicht über das Feld fährt, hat das etwas Idyllisches. Wenn er im grauen Januar über eine Berliner Straße rollt, hupt und sich in eine lange Schlange von Traktoren einreiht, dann hat er ob seiner schieren Größe durchaus etwas Bedrohliches. Nein, schön waren die Bilder nicht, die wir – live oder im TV – von den Protesten der Landwirte in der Hauptstadt und anderen Städten des Landes gesehen haben. Und wie man persönlich zu den Forderungen der Landwirte bzw. des Bauernverbands steht, sei dahingestellt. In einer leichten Lage befindet sich die Branche, zwischen Regulierung, Subvention und notwendiger Transformation sicher nicht. Und die Zahlen sind deutlich: Das Höfesterben geht weiter, jährlich um gut zwei Prozent und bis 2040 könnten es nur noch halb so viele Höfe sein wie heute. Zwischen 2010 und 2020 haben über 36.000 Betriebe aufgegeben – oder um es noch greifbarer zu machen: Pro Tag werfen zehn Landwirte das Handtuch, so der Agrarbericht der Bundesregierung 2023. Gleichzeitig steigt die Konzentration der Landwirtschaft – immer größer, immer extensiver und intensiver.
Gastronomie als verlässlicher Partner
Für eine Gastronomie, die sich nachhaltig, regional und saisonal präsentieren will, ist das keine gute Botschaft. Denn sie braucht die bäuerliche Landwirtschaft, die ihr diese besonderen, idealerweise biologisch erzeugten Produkte zur Verfügung stellt. Und vice versa: Die bäuerliche Landwirtschaft braucht eine Gastronomie als verlässlichen Partner, die ihr ihre Produkte regelmäßig abnimmt oder gar zusammen mit ihr plant, was angebaut wird und wie viel davon. Wenn im Zuge der Proteste immer wieder davon zu hören und zu lesen ist, dass die Abnahmepreise von der Industrie diktiert werden, die Spielräume immer kleiner werden und die Erzeuger vor diesem Hintergrund die Frage stellen, wie sie in so einem Korsett dann auch biologisch oder nach bestem Tierwohl ihre Produkte – Milch, Fleisch, Getreide, Kartoffeln und so weiter – herstellen sollen, dann ist doch genau dies ein Ausweg.
Nicht an der Qualität nach unten schrauben
Sicher: Die Gastronomie muss auch kämpfen. Genau kalkulieren. Mit Preiserhöhungen und anderen gestiegenen Kosten klar kommen und damit, dass Gäste oft weniger Geld zur Verfügung haben, das sie ausgeben können. Dennoch ist sie, wenn sie echte Genusserlebnisse für die Menschen schafft, wenn mit Professionalität und Passion gearbeitet wird, immer noch der ideale Ort für gute landwirtschaftliche Produkte. Womöglich sogar mehr als je zuvor. Denn wenn die Entscheidung getroffen wird, ein Restaurant zu besuchen und die Auswahl zu treffen ist, wo man sein Geld ausgibt, dann spielt der Faktor Qualität eine wesentliche Rolle. Jetzt also an der Qualität zu sparen, weil die Kosten drücken, ist kurzsichtig. Es gibt viele andere und bessere Stellschrauben, die Reduktion der Foodwaste-Kosten ist nur eine davon.
Viel sinnvoller ist es, jetzt umso mehr als gastronomischer Betrieb seine Fühler in die Region auszustrecken, Netzwerke und Beziehungen zu Erzeugern aufzubauen, direkt zu beziehen (oder auch im Verbund mit anderen) und sich ein Stück weit vom herkömmlichen Markt zu machen. Wie das gehen kann, davon berichteten uns die Teilnehmer unseres Panels zu regionalen Netzwerken im vergangenen Jahr. Es muss ja nicht sofort der gesamte Warenkorb sein bzw. wird es wohl nie sein können – aber eine Struktur lässt sich Stück für Stück aufbauen. Und der persönliche Kontakt zu den Erzeugern schafft eine ganz neue Verbundenheit. Denken wir an das schöne Zitat des Autoren, Aktivisten und Bauern Wendell Berry: „Eating is an agricultural act.“ Mit dem, was wir essen, wo wir es kaufen, wie wir uns darüber Gedanken machen, können wir einen Unterschied herstellen. Und das gilt ganz sicher genauso für die Lebensmittel, die wir für Gäste kaufen, weiterverarbeiten und Speisen daraus zubereiten. Also gilt denn auch: Hosting is an agricultural act.
Wertschöpfung bleibt im Betrieb
Dass es funktionieren kann, zeigt das Beispiel des Erzeugerbetriebs Odefey & Töchter. „Durch die Direktvermarktung von Geflügel- und Wildfleisch und Eiern an Gastronomie und Hotellerie sowie Privatkund:innen bleibt die volle Wertschöpfung bei uns auf dem Betrieb“, schrieb Gründer Lars Odefey Anfang Januar in einem Post im Kontext der Bauernproteste, der enorm viel Beachtung erhielt. In einem darauf folgenden, sehr lesenswerten Interview mit dem Stern führte er zudem aus:
„Ich sehe nicht, weshalb man Großgrundbesitzer mit über 10.000 Hektar, die meistens Konzernen und deren Investoren gehören, staatlich subventionieren sollte. Das Handwerk bräuchte Unterstützung, Metzgereien, Bäckereien, Ausbildung und Wissenstransfer – dafür gibt es keinen Topf. Für einen Betrieb wie den meinen gibt es beinahe nichts. Odefey & Töchter bekommt ausschließlich Flächenprämie – das sind 1800 Euro im Jahr. Davon kann ich nicht einmal eine Monatsrechnung Strom bezahlen. Ein kleiner Betrieb wie unserer, der auf Tierwohl achtet, wird in Deutschland praktisch nicht gefördert.“
Wertschätzungskette
Statt der immer wieder kritisieren, aber bis heute bestehenden Flächenprämien braucht die (bäuerliche) Landwirtschaft eine andere Art der Unterstützung. Die Gastronomie sollte diese Forderung unbedingt unterstützen – weil sie Teil dieser Wertschöpfung- und Wertschätzungskette ist – und ihren Beitrag dazu leisten, dass diese Betriebe eine Zukunft haben. Es ist übrigens in ihrem ganz eigenen Interesse.
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