2023 müssen bekanntlich alle Gastronomien in Deutschland ihren Gästen verpflichtend eine Mehrweg-Option bieten. Neben bereits am Markt existierenden Kunststoff-Behältnissen kommt nun Glas ins Spiel. Wie funktioniert das? Ein Zwischenbericht eines Pilotprojekts im Raum Münster.
Essen to go nicht im Einwegverpackung, aber auch nicht im Kunststoff-Mehrwegbehälter, sondern in Glasgebinden – das ist keine Utopie, sondern im Münsterland bereits in der Testphase im Rahmen eines aktuell laufenden Pilotprojekts.
Im „Hospitality Talk“ des Fachportals hospitalitypioneers.de wurde berichtet, wie es zu dem Projekt kam und wie der Stand der Dinge ist: Nicolai Meyer von der Stadt Münster ist tätig im Bereich der Abfallwirtschaftsbetriebe und setzt sich u.a. im Rahmen der Initiative „Münster für Mehrweg“ seit 2016 dafür ein, Einweg zu reduzieren – unter anderem in Form von Mehrwegbechern, die eingeführt wurden und dem Errichten von Refill-Stationen für Leitungswasser. Ziel ist, die Stadt zum „grünen Vorreiter“ in Deutschland zu machen. Vor dem Hintergrund des 2023 in Kraft tretenden Gesetzes wurde eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, um die Gastronomie zu unterstützen, der auch der DEHOGA Westfalen und das Studierendenwerk Münster beiwohnen. In diesem Zuge wurde auch erörtert, inwiefern Glas hierbei eine Alternative zu Kunststoff-Mehrweg sein kann.
Projektpartner Arcoroc und Relevo
Dafür wurden zwei Projektpartner gefunden: Einmal der Glashersteller Arcoroc und einmal das Pfandsystem von Greentable-Partner Relevo aus München, das mit seinem „pay per use“-Ausleihsystem mittlerweile deutschlandweit aktiv ist. Als einziges Logistikunternehmen habe sich Relevo dazu bereit erklärt, eine Glas-Lösung zu gleichen Konditionen anzubieten. In den Münsteraner Mensen ist es bereits im Einsatz, weitere Partner – auch aus der klassischen Gastronomie – werden zurzeit akquiriert.
Die Kunststoff-Behälter funktionieren in der Gastro-Praxis bereits gut, weiß David Winkel von Relevo zu berichten: 99,5% Rückgabequote (und das im Schnitt binnen 2,5 Tagen) und eine rund zweihundertfache Verwendung der Schalen kann man aktuell bereits vorweisen. Man könne den Gastronomen versichern, dass das Geschirr zurückgegeben werde und in hohem Maße dort, wo es ausgeliehen wurde, so Winkel – was auch Upselling- und Neukundengewinnungsaspekte bedeute. Glas, so führte er fort, böte dabei noch größeres Potential: Es ist nämlich noch deutlich häufiger verwendbar, weil langlebiger.
Glas weist viele Vorteile auf
Detlev Decker von Arcoroc, welches für das Pilotprojekt ein Set aus verschiedenen Schalen und Trinkgläsern bereit gestellt hat, führte die Vorteile aus: Mit einem speziellen Herstellungs- und Härtungsverfahren sei das für den Mehrwegpool verwendete Material bis zu fünfmal härter als herkömmliches Glas und damit deutlich widerstandsfähiger (eine Kernkompetenz der Marke, ältere Semester werden sich noch an die Arcoroc-Werbung mit dem Elefanten erinnern). Die typische Bruchstelle, nämlich beim Ein- und Ausräumen vor bzw. nach dem Spülen in der Maschine, sei daher aus dem Wege geräumt. Auch der Transport via Lieferdienst, haben Tests ergeben, sei problemlos möglich. Auch entstünden – im Gegensatz zum Kunststoff – keine Kratzer durch den Transport oder wenn eine Speise im Behältnis mit dem Messer zerschnitten werde, was Cuts im Kunststoff hinterlassen kann. Die verwendeten Gebinde sind zu 100% stapelbar durch Stapelränder, man garantiere 2.000 Spülvorgänge (also deutlich mehr als Kunststoff) und sogar beim Gewicht komme man dank Reduktion in der Herstellung fast an Kunststoff heran. Noch nicht aus Glas allerdings sind die Deckel, sondern bis auf Weiteres aus Kunststoff, weil Glasdeckel bislang noch nicht so gut funktionieren. Was aber, so Decker, beim Transport sogar den Vorteil mit sich bringe, dass die Kunststoff-Deckelränder (z.B. in der Liefertasche) als Puffer fungieren. Außerdem: Glas ist durchsichtig. Man kann also sehen, was sich darin befindet und hat somit den Vorteil einer attraktiveren Darbietung der Speisen. Auch das Vorwärmen ist im Glas besser möglich. Und wenn ein Glas dann doch in den Ruhestand oder zu Bruch geht: Es ist 100% recyclebar, diese Quote erreicht Kunststoff nicht.
Erstes Ziel: Mehrweg überhaupt priorisieren
Also bringt Glas nur Vorteile? Renate Dölling vom Dehoga Münsterland ist zwar persönlich ein großer Fan des Glas-Mehrwegs und davon überzeugt, dass es das beste Material ist, weiß aber, dass viele Betriebe noch skeptisch sind. Deswegen sei der Verband darum bemüht, die Betriebe in Versammlungen und Einzelgesprächen über die Möglichkeiten zu informieren. Letztlich sei es ja die Entscheidung des Betriebs: Wird das System von den Gästen akzeptiert? Gibt es hinreichend Lagerkapazitäten? Wie sieht die Logistik aus, ist der Dienstleister in der Lage, die Behälter schnell zu beliefern? Erstes Ziel sei es, Mehrweg zu priorisieren, und zweites, Glas wegen seiner besseren Recylebarkeit zur Akzeptanz zu verhelfen. Wenn man mit einem Kaffeebecher aus Glas in Hamburg in den Zug steigen und ihn in München wieder abgeben könne, dann habe man viel erreicht, so Dölling.
Viele Betriebe stellen etappenweise um
Doch wie erreicht man es, dass Mehrwegsysteme – Glas oder Kunststoff – in der Gastronomie zum Standard zu machen, sodass Einweg langfristig zur Ausnahme wird oder bestenfalls ganz verschwindet? David Winkel berichtete, dass man mit Schulungen arbeite, um alle im Gastro-Team mit ins Boot zu holen und die intrinsische Motivation zu fördern, sprich proaktives Hinweisen auf das Mehrweg-System. Auch habe er beobachtet, dass Betriebe etappenweise umstellen, z.B. durch Verbrauch der Einweg-Restbestände plus Herausgabe eines Relevo-Flyers, dann dem Erheben einer „Klimagebühr“ von z.B. 50 Cent, wenn der Gast sich für Einweg entscheidet und schließlich gar keine Einweg-Ware mehr bestellt werde, weil die Gäste – zumal Stammgäste – die App heruntergeladen und sich automatisch für Relevo entscheiden, oder als Alternative auch eigene Behälter mitbringen können. Talk-Moderator Christian Fiedler wies auf den entscheidenen Punkt hin: Es muss maximal simpel sein, für Gastronomen wie für die Gäste.
Glas braucht einen Booster
Auch wenn Glas hierbei noch ganz am Anfang steht: Es kann durchaus schneller Fahrt in die Sache kommen, ähnlich wie beim Mehrweg für Bar-Spirituosen. Erste weitere Kommunen würden sich bereits für das Münsteraner Modell interessieren, wusste die Runde zu berichten, auch wollen sich weitere DEGOGA-Verbände in NRW daran orientieren, und das Bestellen von Mustersets ist jederzeit möglich. Ein Booster für Glas-Mehrweg stellt mit Sicherheit eine kommunale Unterstützung, z.B. durch Aufbau eines Netzwerks, finanziellen und kommunikativen Support, dar. Und das ganz im eigenen Interesse, denn die kommunalen Kosten für die Entsorgung der wachsenden Einwegmüll-Mengen sind enorm: Vor Corona waren es schon 700 Millionen Euro, die die Städte und Gemeinden jährlich für die Beseitigung von Zigarettenkippen, To-Go-Bechern und anderen Einwegplastikprodukten bereitstellen mussten, und mit dem pandemiebedingten Außer-Haus-Boom dürfte diese Zahl noch deutlich größer geworden sein.
Mehr Infos zum Pilotprojekt hier
Text: Jan-Peter Wulf; Fotos: Relevo