Eine Schnapsidee, die 2017 bei einer Küchenparty einer WG aufkam, wurde ein Jahr später Wirklichkeit, gewann einen renommierten Gründerwettbewerb und ist heute ein nachhaltiges Logistik-Konzept auf Erfolgskurs: Nadine Herbrich und Alessandro Cocco haben mit „recyclehero“ ein Unternehmen aufgebaut, das Altglas, Pfandflaschen und Wertstoffe wie Papier und Altkleider von Privathaushalten und Unternehmen entsorgt.
In Hamburg haben sich schon viele gastronomische Betriebe an das System angeschlossen und entledigen sich gegen Gebühr des Problems der Glasberge und des zeitraubenden, personalintensiven Wegbringens. Pro Abholung sprechen wir von 20 kg Altglas bzw. 40 Flaschen. „recyclehero“ engagiert sich zudem für Obdachlose in Hamburg und hat nun weitere Städte im Blick. Wir sprachen mit Gründerin und Geschäftsführerin Nadine Herbrich.
Nadine, ihr holt Glas und Papier auch aus gastronomischen Betrieben ab. Wie habt ihr es geschafft, Restaurants und Co. von eurem Service zu überzeugen bzw. mit welchen Argumenten überzeugt ihr sie?
Große Überzeugungsarbeit ist meistens gar nicht vonnöten, da Gastronom*innen bisher kaum effiziente, praktische und vor allem verlässliche Möglichkeiten gefunden haben, um anfallende Wertstoffe (Glas und Papierverpackungen) zügig und kostengünstig zu entsorgen. Viele Gastronom*innen reagieren bei der Vorstellung unseres Produkts durch unsere geschulten Mitarbeiter*innen sogar euphorisch, da „vermüllten“ Lagern, zugestellten Durchgangswegen und blockierten Notausgängen durch auftürmende Wertstoff-Berge endlich ein Ende gesetzt werden kann. Auch in Zeiten von Personalmangel werden wir häufig mit offenen Armen empfangen. Dadurch, dass die Gastro-Szene in Hamburg sehr gut vernetzt ist und das Feedback unserer Kund*innen nahezu ausschließlich positiv ist, kommen viele Betriebe sogar von sich aus auf uns zu, um sich (Probe-)Boxen oder Bags zu sichern und daraus resultierend langfristige Verträge mit uns abzuschließen.
Unkomplizierte Abholung von Altglas & Co.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit idealer Weise. Gibt es feste Abholtermine pro Woche, eine Vorbereitung durch das Team vor Ort?
Unternehmen können wählen, ob sie sich für eine einmalige Abholung oder feste Termine in regelmäßigen Zeitabständen entscheiden. Gemeinsam legen wir den Bedarf an Boxen und Bags für ihre Wertstoffe fest und tauschen diese dann in den telefonisch oder online vereinbarten Abständen nahezu geräuschlos aus, so dass deren Kund*innenverkehr nicht beeinträchtigt wird. Bei der Abholung der Boxen und Bags etablieren wir gemeinsam mit unseren Kund*innen Routinen, die sowohl von unseren Heroes als auch durch die Mitarbeiter*innen der Betriebe geräuschlos umgesetzt werden.
Wie viel Emissionen werden durch die umweltfreundlichen Fahrzeuge und die optimierte Tourenplanung eingespart?
Wissenschaftler*innen der Universitäten Heidelberg und Braunschweig haben im Jahr 2015 Pionier*innenarbeit geleistet und das Treibhausgasminderungspotenzial von Pedelecs im Vergleich zu herkömmlichen mittleren Diesel- und Otto-PKWs in Deutschland empirisch aufgezeigt. Anlehnend an diese Arbeit und unter Berücksichtigung weiterer validierter Quellen können wir daher Aussagen darüber treffen, wie viel CO2-Äquivalenten pro Personenkilometer durch die exklusive Nutzung unserer Elektro-Lastenradflotte im Vergleich zu innerstädtischen Lastenverkehr durch herkömmliche Abfallentsorger eingespart werden. 2022 haben wir beispielsweise etwas unter einer Tonne CO2-Äquivalente durch unsere emissionsarmen Lastenfahrrad-Fahrten eingespart.
Umweltfreundlicher gehts nicht: Müllentsorgung per Lastenfahrrad
Unser Einsparungspotenzial geht jedoch noch deutlich darüber hinaus. So können wir durch die korrekte Zuführung von Wertstoffen in den Wertstoffkreislauf sowie das lokale im-Kreislauf-Halten von durch uns abgeholter pre-loved Textilien jährlich ein Vielfaches der durch unsere umweltfreundlichen Lastenräder eingesparten CO2-Äquivalente einsparen. Eine aktuelle Untersuchung der Universitat Politècnica de Catalunya hat beispielsweise ergeben, dass die Wiederverwendung von einem Kilogramm Bekleidung bis zu 25 kg CO2-Äquivalente einsparen kann. Wenn man bedenkt, dass wir bei recyclehero im Jahr 2022 um die 20 Tonnen Altkleider von unseren Kund*innen abgeholt haben, ist das Einsparpotential enorm. Insbesondere wenn man bedenkt, dass laut einer aktuellen Studie von McKinsey im Jahr pro Person durchschnittlich 15 Kilogramm Textilmüll produziert werden und dies bis 2030 auf annähernd 20 Kilogramm pro Kopf steigen könnte.
Ihr verteilt zusammen mit verschiedenen Hilfseinrichtungen den „WärmBert“, eine Wärmflasche, an Obdachlose. An Auffüllstationen können die Menschen sich heißes Wasser holen. Darunter auch Cafés oder Restaurants. Wie läuft das vor Ort ab?
Mit Beginn von Covid19 starteten wir unser erstes Projekt „Straßensuppe“, das sich gezielt an Obdachlose richtet. Mit über 10.000 Portionen warmen Essens, Hygieneartikeln, Getränken, Wärmehilfe im Sommer und Kältehilfe im Winter konnten wir Bedürftige unterstützen. Daran anknüpfend entstand die Idee von „Wärmbert“, einer Wärmflasche, die bei unserem Partner Hanseatic Help e.V. von verschiedenen Hilfsorganisationen zentral angefordert und daran anknüpfend ausgeteilt werden kann. Seit Anfang Februar ist nun auch die Hamburger Meldebehörde an unserem Projekt beteiligt und gibt unsere „Wärmberts“ bei ihren täglichen Beratungsterminen mit Obdachlosen kostenfrei an diese aus.
Die „Wärmberts“ können bei unserem stetig wachsenden Warmwasser-Nachfüllstationen-Netzwerk, bestehend aus Restaurants, Geschäften, Sozialunternehmen und Vereinen, wiederbefüllt werden. Personen, die ein Auffüllen benötigen, wenden sich dabei einfach an das sensibilisierte Personal und nicht selten geht mit einer frisch-aufgefüllten Wärmflasche auch ein dringend benötigtes Heißgetränk in der kalten Jahreszeit einher. Auch hier erfahren wir durch unsere Partner*innen, dass der Bedarf an dem Wahrnehmen des Angebots stetig steigt und diese Geste vielfach mit der (Wieder-)Erlangung von etwas Würde und Menschlichkeit assoziiert wird.
Welches Ziel verfolgt ihr damit?
Dass alle Akteur*innen der Zivilgemeinschaft, die sich eine Stadt teilen, für die unterschiedlichen Facetten eines gemeinsamen städtischen Zusammenlebens sensibilisiert werden und sich gemeinsam für eine sozial nachhaltige Sache einsetzen. Mit Nachfüllstationen sorgen wir dafür, dass man sich gegenseitig zu nachhaltigem und sozialen Handeln befähigt und dadurch die Lebensqualität aller Bewohner*innen einer Stadt verbessert.
WärmBert: Gratis-Wärmflaschen für Menschen auf der Straße
Ist eine Expansion von recyclehero in andere Städte geplant?
Ja, eine Skalierung unseres Geschäftsmodells und somit eine Expansion in weitere Städte innerhalb Deutschlands ist noch 2023 geplant. Neben ersten vielversprechenden Gesprächen mit potenziellen Partner*innen aus einzelnen Städten in Nordrhein-Westfalen, rücken nun in einer ersten Roll-Out-Phase Großstädte wie Frankfurt am Main, Köln sowie München in den Fokus. Letzte Hürden müssen noch genommen werden, beispielsweise bei der Suche nach geeigneten Second-Hand Geschäften, in denen wir unsere gesammelten Altkleider im lokalen Kreislauf halten können. Textilien möglichst regional zu verwerten ist unsere oberste Prämisse, da Altkleider-Exporte in Länder des globalen Südens einerseits lokale Märkte zerstören, indem beispielsweise die eigene Textil-Produktionen unterdrückt wird, und andererseits durch eine nicht-fachgerechte Entsorgung und mangels Recycling altbekannte Umweltproblematiken verstärkt werden.
Es gibt kaum niemanden, der so viele leere Wein- und Spirituosenflaschen sieht wie ihr. Wie schätzt ihr das Potential für Recycling in diesem Segment und in der Gastronomie ein – es gibt ja z.B. System wie das Ebb & Flow Keg oder Ecospirits?
Mehrweg-Systeme sind die Zukunft! Machen wir uns nichts vor: Kaum jemand sehnt das Ende der Einwegverpackung- und Altglas-Flut mehr herbei als wir. Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, ist jedoch auf den zweiten Blick durchaus nachvollziehbar. Aktuell machen beispielsweise laut Ebb &Flow Keg „Glasflasche[n] mit Ausstattung (Verschluss, Kartonage und Etikett) [… ] über 50% der CO2 Bilanz eines Weines aus”. Auch können mit dem Umstieg auf Mehrweg (durch das Ausbleiben der Neuproduktion von Glasflaschen) tausende Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden. Als Verfechter von innovativen (Logistik-)Lösungen zur Reduzierung von Abfall und der verantwortungsvollen (Wieder-)Verwendung von Ressourcen sehen wir durch Mehrweg-Lösungen ein enormes Potential bei der Einsparung von CO2-Äquivalenten. Da wir durch unsere skalierbare SaaS-Logistik-Softwarelösung hervorragende Rahmenbedingungen geschaffen haben, weitere Wertstoffe und Waren ressourcenschonend zu transportieren, sehen wir den Trend hin zu Mehrweg und die damit verbundenen Logistik-Prozesse als perfekte Ergänzung für unsere Dienstleistung an, um diese auch in Zukunft erfolgreich zu gestalten.
Vielen Dank für das Interview!
Mehr Informationen: www.recyclehero.de
Text: Jan-Peter Wulf; Fotos: recyclehero, BildVerstärker