In Deutschland erreichen knapp die Hälfte der Lebensmittel, die auf dem Acker angebaut werden, nicht den Teller des Verbrauchers, auch schon nicht das Regal des Händlers. Sie werden vorher aussortiert, im vorauseilendem Gehorsam sozusagen. Nicht, dass all dieses Gemüse ungenießbar wäre, häufig sind es optische Mängel, die zum Verbleib auf dem Acker führen. Dabei können „Culinary Misfits“ gerade in der Gastronomie ein Hingucker sein.
Wer muss nicht grinsen, wenn er oder sie die Bilder eines geradezu erotisch verschlungenen Möhrenpaars oder die Knollennasen einer Pastinaken Familie sieht? Das Glück, diese Unikate auch auf dem Teller zu genießen, ist allerdings meist dem Gärtner vorbehalten. Denn angeboten wird krummes Gemüse am Markt bisher selten, eher noch erreicht es den Trog im Stall oder den Regenwurm auf dem Acker. Dass dabei fast die Hälfte unserer Lebensmittel angebaut werden, ohne verzehrt zu werden, ist erstaunlich. Schließlich bringt der nutzlose Anbau einen immensen Ressourcenverbrauch mit sich.
Obwohl es sich um ein knappes Gut handelt, werden 28 Prozent des weltweiten Ackerlandes von am Ende nicht konsumierten Pflanzen belegt. Der Anbau verschlingt 250 Milliarden Kubikmeter Wasser, das entspricht dem durchschnittlichen Wasserverbrauch Deutschlands in 68 Jahren. Lebensmittelverschwendung ist ein bekanntes Problem, dass ein großer Anteil des Essens jedoch für Verbraucher unsichtbar noch vor Erreichen der Ladentheke verworfen wird, ist vielen unbekannt. Krummes Gemüse, Kratzer auf der Schale oder Über- und Untergrößen, in kurz: Abweichungen von der Norm in Form und Aussehen sind der Grund zum Aussortieren.
Erste Pioniere haben das für sich entdeckt und die Empörung über die Verschwendung sogar zu ihrer Nische entwickelt. Die beiden Designerinnen Tanja Krakowski und Lea Brumsack gründeten in Berlin ein Ladencafé mit „Gemüsewerkstatt“, wo sie die „Culinary Misfits“ zu liebevoll gestalteten Gerichten verarbeiteten. Für ihre Leidenschaft der „kreativen Esskultur“, wie sie ihr Projekt gerne beschreiben, besuchten sie regionale Produzenten direkt auf ihren Höfen, denn aussortiertes findet sich nicht im Ladenregal. Während ihr Café wieder schließen musste, werben die Freundinnen des „freakigen“ Gemüses dennoch weiter für mehr Wertschätzung unserer Lebensmittel.
Andere nahmen das Konzept auf, in Köln, München und Berlin. In München gründete sich das Start-up Etepetete, ein Biolieferdienst für „extravagantes Gemüse“. Krumme Möhren, kleine rote Beete oder Herzkartoffeln erreichen den Verbraucher per Paketdienst. Ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das zeigt: nicht nur zu Hause kann Gemüse und Obst jenseits der Norm für Abwechslung auf dem Teller sorgen. Das haben selbst Discounter erkannt: Penny und Aldi haben Gemüse mit optischen Normabweichungen 2016 in ihr Sortiment aufgenommen. Penny zog nach einem Jahr eine überraschend positive Bilanz. Die Kunden hatten das Angebot sehr gut angenommen.
Eines ist klar: der im englischsprachigen Raum genutzte Begriff ugly food lässt kaum erahnen, wie humorvoll das krumme Gemüse doch sein kann. Denn, wer isst schon gerne normal?
Mehr über krummes Gemüse:
http://www.culinarymisfits.de
https://etepetete-bio.de
Text und Bilder: Laurin Berger