Borago, Chile: Ultraregional, aber ohne Weinkarte

23.07.2023 | International, Beispielhaft

Wenn Restaurants von regionalem, saisonalem und nachhaltigem Ansatz reden, dann meinen sie in aller Regel nur einen Teil des Gesamtpaktes. Klar, man kann fast alle Zutaten aus der Umgebung beziehen, vielleicht auch aus dem eigenen Land, doch spätestens bei den Getränken wird es kritisch.

Wein aus Frankreich, Italien und Deutschland gehört nun mal auf die Karte, weil die Gäste ihn trinken wollen; auch ohne Champagner geht es nur selten. Und bei Tee und Kaffee kommt praktisch jedem europäischen Restaurant das Klima in die Quere. Soll man dem Gast etwa sagen, dass es nichts zu trinken gibt außer dem, was in der Nähe gekeltert wird? Das mag an der Mosel funktionieren, wird aber außerhalb der Weinbaugebiete schwierig. Und ob sich alle Kunden nach einem Menü zum Preis von 100 Euro und mehr mit Salbeitee abspeisen lassen? Selbst das Kopenhagener Noma denkt ja nicht daran, bloß dänische Weine und Biere zu verkaufen.

Rodolfo Guzmán scheint da keine Skrupel zu kennen. In Santiago de Chile gelingt dem bekanntesten Koch des Landes, was in Europa kaum zu verwirklichen ist. Was auf der Karte steht, in seinem Restaurant namens Boragó, stammt aus Chile respektive dem Meer davor. Wobei man einwenden muss, dass Chile nun mal ein riesiger Staat mit ganz unterschiedlichen Klimazonen ist. Vom kalten südlichen Patagonien bis zur Atacama-Wüste reicht das Spektrum. Und was nicht innerhalb der Landesgrenzen gedeiht, kann – wie beim Kaffee – immer noch aus der südamerikanischen Nachbarschaft zugekauft werden.

Dass man in einem Restaurant des Weinbaulands Chile ausschließlich einheimische Sorten anbietet, ist kein Wunder, dass es allerdings an einer Weinkarte fehlt, schon eher. Mein Wunsch, eine feine Flasche aus einer Liste zu bestellen, wurde mangels Liste abschlägig beschieden. Ausschließlich eine Weinbegleitung war verfügbar, passend zu den Gängen des einzigen Menüs. Natürlich hätte ich einen dieser sieben oder acht zum Essen ausgesuchten Weine notfalls auch in der Flasche haben können, aber das war’s dann auch. Dass kein französischer Champagner verfügbar war und – anders als in so manchem europäischen Toprestaurant – kein Mineralwasser Schweizer Firmen an den Tisch gebracht wurde, versteht sich von selbst.

Mit den Nachteilen dieser Politik – richtig viel Geld für Getränke auszugeben, ist unmöglich – scheint das große und umsatzstarke Restaurant im Viertel Las Condes leben zu können. Die Gäste lassen sich ein auf das Prozedere und die vielen Gemüse und Meeresfrüchte des Menüs. Tomaten in verschiedenen Texturen, Pflanzen aus der Wüste, eine fermentierte Melone und natürlich Hummer und Austern von Chiloé, der Insel im Cool-Climate-Süden: Das Essen war trotz der Limitierung abwechslungsreich, spannend, balanciert. Algen waren zum Essen da oder dienten, im Falle des Hummers, als Umhüllung während der schonenden Garung. Zum Schluss vielleicht einen Digestif? Der ist hier im Pairing inbegriffen und stammt natürlich aus Peru. Pisco kann allerdings, wenn er von guten Erzeugern stammt und mit Akribie im Fass gelagert wurde, durchaus einem Cognac das Feld streitig machen.

Restaurant Boragó, Santiago de Chile, www.borago.cl

Text: Wolfgang Fassbender, Foto: My Guide Chile

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