Zertifizierungen: Idealismus oder lohnende Investition?

25.08.2023 | Gastro, Gut zu wissen

Beim 1. Gastro for Future Online-Summit von Greentable diskutierten wir mit fünf Branchen-Expert*innen über das Thema Zertifizierungen in der Gastronomie: Sind sie reiner Idealismus oder ist ein „return on invest“ zu erwarten? Welche Herausforderungen gibt es auf dem Weg zur Zertifizierung und was sind die Tipps der Panel-Teilnehmenden?


Es diskutierten (v. links): Jasmin Ohlendorf vom „Renthof“ in Kassel, Sonja Obermeier vom „Klinglwirt“ in München, Andrea Gallotti vom „erasmus bio fine dining“, Karlsruhe, Günther Ballin vom „lauschig lokal“, Flensburg und Ani Pauls, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Transgourmet Deutschland

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Aufzeichnung des Panels „Zertifizierungen“

Transformation im Lockdown

Jasmin Ohlendorf vom „Renthof“ berichtete, wie sie und ihr Team die fünfmonatige Corona-Schließzeit genutzt haben, um „vom Keller bis zum Dachgeschoss“ Nachhaltigkeit umzusetzen und deutlich auszubauen. Es wurden Projektgruppen gegründet, die die einzelnen Bereiche des Hotels und Restaurants unter die Lupe nahmen. Gibt es eine Waschmittel-Alternative? Sind Duschgels in Einzelverpackungen auf den Zimmern wirklich notwendig? Im Restaurant habe man sich nach dem Vorbild des Berliner „Nobelhart und Schmutzig“, verstärkt Kontakte zu Lieferanten aufgebaut. Heute trägt man das zweithöchste Nachhaltigkeits-Siegel für Hotels von GreenSign (Level 4) – am Regelwerk hangelte man sich entlang, so Ohlendorf. Es ist nicht alles Bio: Auch regionale Bauern, die sich ein Bio-Siegel noch nicht leisten können, unterstützt man. „Nachhaltigkeit ist ein Kommunikationsthema“, so ihr Hinweis. Nicht alle Stammgäste seien mitgegangen, doch man habe selbstbewusst kommuniziert: Regionalität und Nachhaltigkeit ist das Richtige für den Betrieb und seine Mitarbeitenden. „Das ist unser Weg“, so Ohlendorf.

GreenDo
„Nachhaltigkeit ist eine Lebenseinstellung. Nimm alle auf diese Reise mit, kommuniziere viel und gehe Step by Step. Jeder gemachte Schritt ist ein Schritt in die richtige Richtung.“
Jasmin Ohlendorf

Biosiegel bringt Verlässlichkeit

Das Wirtshaus „Klinglwirt“ von Sonja Obermeier ist schon lange biozertifiziert. Aus Sicht der Betreiberin, die mit „gastroGRÜN“ mittlerweile auch andere Betriebe in dieser Hinsicht berät, ist ein Biosiegel eine verlässliche Größe im allgemeinen Wirrwarr, zumal sich jetzt viele Betriebe Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Was erfreulich sei, aber leider auch zu mehr Greenwashing und Übersättigung bei den Gästen geführt habe, so ihre Beobachtung. Bio ist geschützt und kontrolliert, das sorgt für großes Vertrauen. Jedoch sei Bio alleine keine hinreichende Lösung, da nicht jedes Bio-Produkt auch eine gute CO2-Bilanz habe. Regionalität müsse daher dazu kommen, findet Obermeier. Ein hochwertiges Bio-Produkt sei durch entsprechende Kalkulation preislich darstellbar und kein Verhinderer für die Umstellung, wie oft vorgegeben werde. Zudem könne man sich auch stückweise zertifizieren und mit bestimmten Produktgruppen starten. Mit Suchbegriffen wie „Bio Wirtshaus München“ oder „Bio Restaurant München“ rankt ihr Betrieb so gut, dass sie von Personen, die gezielt nach Bio-Gastronomie suchen, sehr gut gefunden (und aufgesucht) werde.

GreenDo
„Sucht euch 3 regionale Bio-Produzenten und ruft an, fragt die Preise und Lieferkonditionen ab und tretet in Kontakt.”
Sonja Obermeier

Forderung: Förderungen

Andrea Gallotti vom „erasmus bio fine dining“ in Karlsruhe wusste zu berichten, dass man 2014 nicht mit einer klaren Bio-Karte eröffnet und zunächst auch gegen eine Zertifizierung gewesen sei. Ein unerfreuliches Erlebnis – ein Fleischlieferant verwendete Gen-Futter – brachte die Erkenntnis: Wenn das Haus ethisch verantwortlich arbeiten will, braucht es einen Bio-Standard, um die  Kontrolle outzusourcen. Auf diesen Standard wiederum setzt man den eigenen Standard mit Faktoren wie Handwerklichkeit und Genussintensität. Seit 2016 ist man zu 100% biozertifiziert (Bioland). Man profitiere von langer Erfahrung, Wissen und könne sich aus den Produkten die „Crème de la Crème“ heraussuchen, um Hochwertigkeit für die Gäste zu erzielen: Genuss und Freude in Verbindung mit Sicherheit. Galotti hat konkrete Forderungen an die Politik: Erstens die Kosten für die Zertifizierung erstatten, weil sie dem Allgemeinwohl diene, zweitens eine finanzielle Förderung für die Kommunikation, denn die vollzogene Veränderung positiv darzustellen, koste Geld. Und drittens eine Förderung beim Einkauf CO2-schonender Ware.

GreenDo
„Nutze die Erfahrungen und das Netzwerk von Verbänden. Nachhaltigkeit ist kein Status Quo. Sie ist immer ein Anpassen und Herausfinden. Sieh das Ganze spielerisch, kommuniziere was du vorhast, behalte den Spaß an der Sache und vergiss nicht: Es geht um Genuss!”

Andrea Gallotti

Mehr Transparenz

Das „lauschig lokal“ gibt es erst seit Anfang 2023. Günter Ballin und sein Mitgründer beschäftigen sich intensiv mit dem Gedanken der Zertifizierung, zumal 80 bis 90 Prozent der Produkte bereits biologisch sind. Ausnahmen mache man – siehe „Renthof“ – bei Kleinbetrieben aus der Region, die zu klein für ein Zertifikat sind. Bei 22 Sitzplätzen sei man von den Kosten jedoch abgeschreckt. Man sehe jedoch auch Vorteile: Sicherheit für den Betrieb und die Kunden, mehr Transparenz und weniger Aufklärungsarbeit. Und: Garantiert kein Greenwashing, sondern Nachhaltigkeit tatsächlich und gewiss.

GreenDo
“Es kommt nicht darauf an, ob dein Betrieb zertifiziert ist – fang an, Nachhaltigkeit zu leben, in kleinen Schritten.”
Günther Ballin

Niederschwellig beginnen

Ani Pauls aus Osnabrück, die bei Transgourmet Nachhaltigkeits-Consulting für die Gastronomie betreibt, betonte: „Ein Siegel bringt Sicherheit. Ich stehe für eine ressourcenschonende Landwirtschaft.“ Für Köchinnen und Köche sei es, ohne Agrar-Hintergrund, sehr komplex, sich in der Tiefe mit der Thematik auseinanderzusetzen. Insofern diene ein Siegel Entscheidungshilfe für das Team ebenso wie für die Gäste. Wie Sonja Obermeier wies auch sie auf die Möglichkeiten hin, niederschwellig zu beginnen. Gerichte ganz oder gar nicht mit Bio-Zutaten zubereiten zu müssen, sei ein Mythos.

GreenDo
„Fang in kleinen Schritten mit Bio an, kombiniere das mit Regional und nutze die Synergien dieser beiden Prinzipien, die beim Tischgast meistens sehr gut ankommen.”
Ani Pauls

Weitere Informationen zum Gastro for Future Online-Summit: www.gastroforfuture.de

Text: Jan-Peter Wulf

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