Der Gastrokritiker und Autor Wolfgang Faßbender hat sich Gedanken darüber gemacht, was sich in Restaurants nach Corona ändern sollte.
Die Lage ist dramatisch im Gastgewerbe. Nicht jeder Betrieb wird, da müssen wir uns keinen Illusionen hingeben, die Pandemie überstehen – den Zusicherungen der zuständigen Politiker zum Trotz. Gerade jetzt ein intensives Nachdenken über die Restaurants der Zukunft zu fordern, ist dreist. Wir haben nun wirklich anderes zu tun, rufen einem angesichts derartiger Vorschläge Wirte, Köche und Kellner entgegen, verweisen mit Recht auf ihren Kampf gegen Versicherungen und um Kurzarbeitergeld. Wer nicht weiß, wie er als Selbständiger oder mäßig bezahlter Angestellter über die Runden kommen soll, hat erst mal wenig Grund, Perspektiven für die kommenden Jahre zu entwickeln.
Doch genau dies sollte jeder tun, der in der Branche tätig ist und es auch demnächst noch sein will. Die heutige Zumutung ist wichtig, damit die richtigen Weichen gestellt werden können, je früher, desto besser.
Und damit sind nicht etwas jene Regeln gemeint, welche den Abstand zwischen den Tischen definieren oder das Anlegen der Schutzmasken. Solche Einschränkungen wird es geben, aber sie gehen mit großer Wahrscheinlichkeit vorüber. Andere Themen werden (und müssen) die Gastronomie langfristig beschäftigen.
Nachhaltigkeit als neue Selbstverständlichkeit
Man hätte schon in der Vor-Corona-Zeit draufkommen können – aber reflektieren wollte bislang nur ein kleiner Teil der Branche. Doch nun stellen auch geübte Verdränger fest, dass Grenzschließungen, verstärkte Kontrollen, Abhängigkeiten und Monopole Probleme verursachen. Nicht nur bei Schutzmasken und Medikamenten, auch in der Gastronomie, der es ja bis neulich zu einem großen Teil völlig egal war, woher ihre Waren kamen. Man schaue sich nur mal die Speisekarte eines durchschnittlichen deutschen Restaurants an – von Imbissen mal ganz zu schweigen.
Schweinefleisch und Geflügel aus der Massentierhaltung sind für viele Gastronomen immer noch eine Selbstverständlichkeit, Gemüse aus Südeuropa, das ohne unterbezahlte Migranten kaum zu diesen Preisen zu haben wäre, ist vielerorts Standard. Die Mehrzahl verlässt sich auf wenige große Lieferanten. Über die Chinesen, die bislang in beachtlichem Ausmaß Wildtiere verzehrten, als wären die natürlichen Ressourcen unendlich und Tierschutz ein Luxus, sollten wir uns nicht allzu sehr echauffieren; die Zustände in europäischen Hühnerställen sind wahrlich kein Grund, Stolz zu entwickeln.
Zum Glück haben sich in den letzten Jahren einige Restaurants etabliert, die mit Biobauern zusammenarbeiten, eine enge Beziehung zu den Herstellern pflegen, die einen reellen Preis bezahlen. Wirklich nachhaltig arbeitende Betriebe sind noch rar, stehen aber als Inspirationsquellen bereit. Nur mit drastischen Änderungen kann es gehen – und das werden über kurz oder lang auch jene erkennen müssen, die bislang Steaks aus argentinischem Fleisch auf den Grill legten oder Chicken Nuggets in die Fritteuse warfen.
Zur Nachhaltigkeit allerdings gehört noch mehr als die Herkunft der Ware. Die Arbeitszeiten etwa, die nicht ins Unendliche ausgeweitet werden dürfen – auf dass sich auch in Zukunft noch Köche und Kellner finden. Und was die Löhne angeht: Spätestens im Lockdown merken viele Mitarbeiter, dass es schwierig ist, vom Kurzarbeitergeld – 60 respektive 67 Prozent des Nettolohns – zu leben, wenn man in der Großstadt wohnt und Trinkgeld wegfällt.
Entschleunigung und Erlebnis
Spätestens an dieser Stelle kommt auch der Gast ins Spiel. Jener, der bislang gewohnt war, alles zum Dumpingpreis zu bekommen. „All you can eat“ für 12,99? Ein Döner „mit allem“ für drei Euro? Bei solchen Sonderangeboten, die oft die Regel wurden, drückten viele Esser schon mal beide Augen zu, um nur ja nicht an die Herkunft der Zutaten erinnert zu werden.
Dass Discount bei Speisen auf Dauer nicht funktioniert, ahnten viele dennoch insgeheim. In Zukunft sollten sie sich häufiger trauen, Riesengarnelen aus zwielichtigen Zuchtbetrieben, die verbrannte Erde hinterlassen, sind die Teiche erst mal ausgebeutet, einfach wegzulassen.
Braten, Hummer und Steinbutt als dramatischer Höhepunkt des Menüs? In Zukunft nur noch ausnahmsweise. Der vermeintliche Verzicht kann in Wirklichkeit ein geschmacklicher Gewinn sein: Hummerspaghetti sind schließlich nicht per se hochwertiger oder „besser schmeckend“ als Nudeln mit Pesto.
Restaurants, Handelsketten und Produzenten, Journalisten und Gastrokritiker müssen aber auch jenseits der Zutatenfrage dazu beitragen, eine neue Genusskultur zu etablieren. Eine, die sich auch mit der Entschleunigung befasst. Zur Neueröffnung eines Restaurants mal eben nach London jetten, in Dubai vergoldete Steaks essen? Lieber nicht.
Die Natur braucht Ruhe und Zeit zur Erholung, und dem Gourmet tut die Muße ebenfalls gut. Sie könnte sogar bei der Beantwortung der Frage aller Fragen helfen. Warum gehen wir eigentlich ins Restaurant? Die schiere Nahrungsaufnahme, das Sattwerden, ist ja nur einer von vielen Aspekten. Viel wichtiger aber ist jenes Erlebnis, welches man zu Hause nicht nachahmen kann. Interaktion mit dem Service (und den Köchen!), Inspiration durch Zutaten und Zubereitung, das zwei- oder dreistündige Ausbrechen aus gewohnten Bahnen. Dazu gehört auch, dass man sich als Gast vorbereitet, sich angemessen kleidet, nicht an der falschen Stelle spart.
Essen im Restaurant will zelebriert werden – vom Aperitif über die Auswahl der Speisen bis zum Dessert und dem längst weitgehend aus der Mode gekommenen Digestif. Ein Plädoyer fürs gepflegte Besäufnis mittags wie abends ist dies nicht, aber das Glas Wein gehört eben auch zur Gastrokultur. Wer da nicht mitmachen will, sollte nicht links liegengelassen werden. Da und dort werden ja heute schon großartige Getränke ohne Alkohol offeriert, dieses Getränkesegment ist nicht deutlich ausbaufähig. All jene Lokale indes, die statt unverwechselbarer Erlebnisse lediglich durchkalkulierte Beliebigkeit anbieten, werden verlieren. Und ehrlich gesagt: Sie sollten es auch.
Neue Wege für neue Wirte
Den Weg des geringsten Widerstandes gingen schließlich viele Gastronomen lange besonders gern, machten einfach alles so, wie sie es gelernt hatten. Die immer gleichen Speisekarten und Aktionen; nur ja nichts ändern, den Gast niemals irritieren. Von den Großmeistern der Branche, allen voran dem französischen Koch Auguste Escoffier (1846 -1935), sind viele geprägt, die heute beruflich Pfannen auf Flammen setzen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Umfangreiche Menüs mit vielen Vorspeisen, Fisch und Fleisch, Suppen und Desserts sind nicht mehr zeitgemäß, das Tellerdreierlei aus Protein, Gemüse und Sättigungsbeilage obsolet.
Vernachlässigbare Rituale
Auch das Erscheinungsbild der Speisekarte wird sich ändern: Digitalität statt Papier. So was dient nicht nur der Hygiene, sondern auch der Kostenreduzierung. Das gesparte Geld sollte der Gastronom von morgen eher in Beratung und unverwechselbare Stunden investieren als in zu vernachlässigende Rituale. Teller abräumen von der in verstaubten Kodizes streng festgelegten Seite? Eindecken von Besteck? Unterschiedliche Gläser für Weiß-, Rot- und Schaumwein oder das regelmäßige Nachschenken aus der eisgekühlten Flasche? Da ist vieles überflüssig oder wenigstens fakultativ, kann gestrichen, eingespart, an den Gast delegiert werden, auch im sogenannten Gourmetrestaurant. Weiße Tischdecken und schwarz livrierte Kellner müssen deshalb nicht aussterben – aber sie sollten nicht der anzustrebende Standard sein, sondern allenfalls Teil eines unverwechselbaren Gesamtkonzeptes.
Wie kreativ die Gastronomie sein kann, wenn sie will und muss, zeigt sich an dem, was jetzt für eine gewisse Entspannung der finanziellen Situation mancher Lokale sorgt und Kundenbindung in der Krise schafft. Was an spannenden Take-away-Konzepten und Lieferdiensten auf hohem Niveau entstanden ist, binnen weniger Tage, hätte vor dem Lockdown kaum jemand für denkbar gehalten. Vieles davon sollte beibehalten werden – allein schon deshalb, um den unsäglichen, viel zu oft bloß lauwarme Langeweile verteilenden Pizzadiensten das Wasser abzugraben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der aghz
Wolfgang Faßbender (51) ist Gastrokritiker und Journalist, schreibt für Medien wie NZZ am Sonntag, Welt am Sonntag, ahgz, Zeit Online und viele mehr. Er hat zahlreiche Bücher herausgegeben, komplett geschrieben oder als Co-Autor mitverfasst – wie den Brockhaus der Kochkunst oder den nachhaltigen Welt-Restaurantführer Truth, Love & Clean Cutlery.