„Nachhaltigkeit war nie ein so zentrales Thema wie heute“ Im Gespräch mit Alexandra Laubrinus und Michael Hetzinger von der Berlin Food Week

08.09.2021 | Gastro, Gut zu wissen, Trends

Genussfestivals haben ja nicht selten was Abgehobenes, ja Dekadentes. Köche mit Hauben, luxuriöse Speisen, viel Tamtam … doch es geht auch anders, ganz anders. Die seit 2013 stattfindende „Berlin Food Week“ verbindet Genuss mit Verantwortung und zeigt, das bewusstes Essen Spaß machen und inspirieren kann. Dieses Jahr kooperiert Greentable e.V. mit dem Event im Rahmen des „Stadtmenüs“ – die teilnehmenden Restaurants aus ganz Deutschland servieren ein klimafreundliches Menü und spenden 1 Prozent des Umsatzes in unser neues Projekt, Zero Foodprint. Das Geld kommt somit Betrieben zugute, die regenerative Landwirtschaft machen und damit zu besseren Böden, besseren Lebensmitteln und mehr Klimaschutz (denn die Böden speichern CO2 besser) beitragen.

Wir haben uns mit Alexandra Laubrinus und Michael Hetzinger unterhalten, die das Programm der Berlin Food Week gestalten – und überdies echte Foodies mit Leidenschaft für Genuss und Nachhaltigkeit sind.

Alexandra, Michael, stellt euch doch bitte einmal kurz vor.

Alexandra: Ich bin bei der Berlin Food Week seit 2013 für das Programm verantwortlich und kann damit meine persönliche Leidenschaft für und Neugier rund um gutes Essen so richtig schön ausleben. Als Geschäftsführerin kümmere ich mich seit 2017 aber auch um unsere Partner und die Produktion.

Michael: Ich bin auch von Beginn an im Team der Berlin Food Week dabei, seit 2019 auch Geschäftsführer. Die Liebe zu gutem Essen und Handwerk wurde mir in die Wiege gelegt, ich bin sozusagen in einer Bäckerei aufgewachsen.

Was ist die Berlin Food Week und wie kam es zu ihr?

Alexandra: Die Idee hatte Alexander van Hessen, einer der Gesellschafter. Er hat viele Events während der Fashion Week gemacht und fragte sich einfach, warum es sowas wie die Modewoche nicht auch für Food gibt. Das war 2012, da ging es gerade damit los, dass Essen das neue Pop wurde. Von Anfang an hatten wir das Ziel, Essen als Kultur und gesellschaftlich relevantes Thema stärker in die Köpfe der Leute zu kriegen. Uns ging es um mehr als nur die Oberfläche.

Wie hat sich das Format im Laufe der Jahre weiterentwickelt? Und wie hat sich die Branche in dieser Zeit weiterentwickelt?

Michael: Seit unserem Start ist wirklich viel passiert, bei uns und in der Branche. Die Wahrnehmung von Food als Lifestyle ist gewachsen, die Bedeutung Berlins als Gastro-Metropole international auch. Sowohl wir, als auch die Szene, sind professioneller, aber auch abgeklärter geworden. Wir haben viel experimentiert im Laufe der Zeit, einiges ging finanziell auch ziemlich in die Hose. Aber ich würde schon sagen, dass uns der Weg bis heute dahin geführt hat, dass wir nun klar sagen können, wofür wir stehen. Wir haben – denken wir – nun eine gewisse Bekanntheit und damit auch die Verantwortung, diese für etwas Gutes einzusetzen. Von Anfang an war Nachhaltigkeit ein Thema, aber nie war es ein so zentrales Motiv wie heute.

Fast schon ein Klassiker der Berlin Food Week ist das Stadtmenü: Restaurants aus Berlin kreieren im Rahmen des Festivals ein besonderes Menü. 2021 findet es zum ersten Mal im ganzen Land statt. Erzählt doch mal bitte.

Alexandra: Wie Micha schon erwähnt hat: Wir wollen etwas bewirken mit unserem Festival. Das Stadtmenü ist dabei ganz wichtig, denn damit öffnen wir uns als Festival für Restaurants in der ganzen Stadt und damit auch für viele Besucher*innen. Wir hatten immer ein verbindendes kulinarisches Motto, im Jahr 2014 beispielsweise „Gemüse ist mein Fleisch”. Schon letztes Jahr, während Corona, haben wir uns gefragt: Können wir nach all dem, was gerade in der Welt passiert, einfach so weiter machen? Natürlich ist uns Genuss wichtig, aber Ernährung hat nun mal einen Impact, den man nicht einfach ignorieren kann. So entstand die Idee, zum ersten Mal kein kulinarisch-inspiriertes, sondern ganz klar politisches Motto zu wählen. Und sobald die Idee da war, war auch klar, dass wir damit Teil einer Bewegung im ganzen Land sind. Warum also nur Berliner Restaurants als Teilnehmer? Deswegen können jetzt Restaurants im ganzen Land mitmachen – und tun es auch. Wir haben Teilnehmer in Hamburg, Frankfurt, München, Erfurt, Düsseldorf, Fürth und mehr.

Und die Restaurants spenden 1% ihres Umsatzes mit dem Stadtmenü an unser neues Projekt Zero Foodprint, was uns sehr freut. Ihr seid Genuss-Expert*innen, besucht viele Restaurants in Berlin und in ganz Europa. Wie wird das Thema Nachhaltigkeit anderswo in der Gastronomie inszeniert? Könnt ihr uns Konzepte oder Beispiele verraten, die euch dahingehend beeindruckt haben?

Michael: Ein sehr starkes Signal war mit Sicherheit die Entscheidung des Eleven Madison Park (in New York, Anm. d. Red.), nur noch rein veganes Essen zu servieren. Ich meine, wir reden von einem Restaurant, das zur absoluten Weltspitze gehört. Leider waren wir noch nicht selbst dort. In der Tat muss man eigentlich mittlerweile gar nicht mehr in die Ferne blicken, auch in Berlin passiert Innovatives. Mehr und mehr Köche haben eigene Gärten, ein Beispiel ist Sebastian Leyer – früher „Le Faubourg“ und „Pauly Saal“ – der einen eigenen Garten bewirtschaftet. Gemüse aus jenem kann man übrigens im Stadtmenü des „Spindler“ genießen. Und was mich besonders beeindruckt hat, ist ein Kniff von Arne Anker in seinem „Brikz“: Er schreibt auf die Speisekarte beispielsweise nur „Kalb”. Er verarbeitet das ganze Tier und jeder Gast bekommt in seinem Menü ein anderes Teil des Tieres. Das ist eine geniale Art von Zero Waste und Kommunikation, finde ich. Und nur so klappt es bei ihm übrigens, dass er jeden Tag das Menü wechselt.

Welche Tipps habt ihr grundsätzlich, was das Thema Nachhaltigkeit und im Speziellen Klimaschutz in der Gastronomie betrifft. Wie können Betriebe sich aus eurer Sicht erfolgreich in diese Richtung transformieren?

Alexandra: Darauf gibt es, glaube ich, nicht die eine richtige Antwort. Jede*r muss den für sich richtigen Weg finden. Aber eine große Rolle spielen die Gäste. Die muss man mitnehmen. Dazu ist viel Kommunikation und Aufklärung nötig, denn das beste Konzept nützt nichts, wenn es nicht angenommen wird. Letzteres ist vor allem auch eine Frage des Budgets, denn nachhaltige Produkte kosten mehr und die Gäste müssen bereit sein, das zu bezahlen. Die praktischen Möglichkeiten sind unendlich und Ausprobieren bringt Erkenntnisse: Gemüse in den Mittelpunkt rücken, Fleisch und Fisch optional als Beilage. Pflanzliche Alternativen gibt es für eigentlich fast alles – bei einem stimmig komponierten Teller merkt man das Fehlen tierischer Produkte gar nicht. Wichtig ist auch die Kommunikation nach innen: Warum machen wir das? Wo wollen wir hin? Ein eigener Garten oder auch Besuche bei regionalen Produzenten kann für einen Koch bewusstseinsverändernd sein, das hören wir oft. Es sind eher viele kleine Schritte als eine große Veränderung. À propos: Wir selbst wollen mit kleinen, praktischen Tipps helfen. Deswegen haben wir gerade einen YouTube-Kanal gestartet mit Expert*innen-Interviews. Schaut doch mal vorbei!

Ihr habt nicht nur diesen digitalen Kanal, sondern bietet seit 2020 auch einen Onlinekurs an, bei dem es u.a. um das Thema Nachhaltigkeit geht. Wie läuft dieser Kurs ab, was kostet er und wen sprecht ihr damit an?

Michael: Es handelt sich um eine Weiterbildung, die man mit Bildungsgutschein der Bundesagentur für Arbeit machen kann, wenn man beispielsweise in Kurzarbeit ist. Das Projekt entstand in Kooperation mit der XU-Universität in Potsdam und wir haben dafür ein Programm kuratiert. Die Gesamtdauer sind 120 Stunden und die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit stehen im Fokus. Die Infos dazu gibt es auf der Website https://xu-group.de/bfw.

Zum Schluss eine kleine Prognose bitte: Nachhaltige Gastronomie 2025. Wie wird sie aussehen?

Alexandra: Wir glauben, dass bis dahin Themen wie Saisonalität und Regionalität Standard sind, auch in der Breite. „Echtes” Fleisch wird eine Besonderheit sein, die ihren Preis hat. Fleischalternativen und gemüsebasierte Rezepturen sind dann „unser täglich Fleisch”, auch im Schnellrestaurant. Und innovative Start-ups werden Produkte auf den Markt gebracht haben, die so gut sind, dass uns der Verzicht auf beispielsweise „echte” Butter gar nichts mehr ausmacht. Träumen ist schließlich erlaubt!

Vielen Dank, Alexandra und Michael.

Mehr Infos zu Berlin Food Week und zum Stadtmenü in Kooperation mit Greentable/Zero Food Print gibt es hier.

Das Interview führte Jan-Peter Wulf

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